- Fränkisches Reich
- Frankenreich
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IFränkisches ReichAls Karl der Große im Jahre 814 starb, hinterließ er seinem Nachfolger ein riesiges, weitgehend gefestigtes Reich; dessen gefährdete Grenzen waren durch Grenzmarken gegen Einfälle der benachbarten kriegerischen Völker militärisch abgesichert, in denen die Markgrafen mit Sonderbefugnissen ausgestattet waren. Im Südwesten des fränkischen Herrschaftsgebietes, im Süden der Pyrenäen, war als Schutzwall gegen die Araber die »Spanische Mark« eingerichtet worden. Im Südosten hatte Karl nach Siegen über die asiatischen Awaren die »Pannonische Mark« zwischen Raab und Donau geschaffen, der sich südwestlich die bis nach Dalmatien reichende »Mark Friaul« anschloss. Weiter nördlich bildeten nach der Unterwerfung der Sachsen Elbe und Saale die Ostgrenze des Reiches gegenüber den Slawenvölkern. Hier wurde als östliches Vorfeld die »Sorbische Mark« errichtet. Gegen die immer häufiger die Küstengebiete an Nord- und Ostsee verheerenden Wikingerraubzüge entstand an der Eidergrenze die »Dänische Mark«. Eine ähnliche Schutzfunktion übernahm an der Nordwestgrenze die »Bretonische Mark«.Um das Riesenreich überhaupt einigermaßen verwalten zu können, wurden die schon aus der merowingischen Zeit stammenden Grafschaften auch auf die nichtfränkischen Gebiete ausgedehnt. Die Grafen als vom König eingesetzte Amtsträger waren militärische Befehlshaber und Richter, sie hatten die Polizeigewalt und die Aufsicht über das Verkehrswesen und die Märkte, sie erhoben Abgaben und Bannbußen und führten die Königsgesetze, die Kapitularien, aus. Ihre Amtsführung ließ Karl von Zeit zu Zeit durch königliche Kontrolleure, die »Königsboten«, überprüfen. Doch schon unter Ludwig dem Frommen wandelte sich das Grafenamt zu einem Lehen (siehe auch Lehnswesen), das bald sogar erblich wurde, sodass der gräfliche Dienstadel sich zu einem Geburtsadel entwickelte und die Grafschaften der unmittelbaren Königsherrschaft entglitten. Die Rivalität der großen Adelsfamilien untereinander und gegenüber dem Königtum, der die Karolinger selbst ihren Aufstieg verdankten, konnte also nur von starken Herrscherpersönlichkeiten wie Karl dem Großen vorübergehend zurückgedrängt werden, doch sie blieb ein beherrschendes Element der mittelalterlichen Geschichte.Das Zentrum von Königsherrschaft und Reichsverwaltung bildete der umherziehende königliche Hof, an dem es seit langem feste Hofämter gab, vor allem die vier Hausämter Truchsess (Seneschall), Marschall, Kämmerer und Mundschenk, denen die Versorgung des Hofes, die Verwaltung der Domänen und des königlichen Schatzes sowie militärische und sonstige Aufgaben oblagen. Der Pfalzgraf war Beisitzer, dann auch Stellvertreter des Königs im Königsgericht. Die am Hof tätigen Geistlichen bildeten seit Pippin dem Jüngeren die Hofkapelle, die nicht nur religiöse, sondern auch diplomatische Aufgaben wahrnahm und die Reichskanzlei führte. Daneben hatte der König persönliche Freunde und Ratgeber in seiner Umgebung, die er auch mit politischen und diplomatischen Missionen betrauen konnte. Die Ausstrahlung und Wirksamkeit dieses Zentrums hing jedoch dem personenbezogenen Charakter der mittelalterlichen Herrschaft entsprechend von der Autorität des Königs ab.Frạ̈nkisches Reich,Frạnkenreich, lateinisch Rẹgnum Francorum, die bedeutendste Reichsbildung des frühen Mittelalters in Europa; das Fränkische Reich umfasste romanische und germanische Völker und bildete die Grundlage der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Abendlandes, insbesondere Deutschlands und Frankreichs.Die salischen Franken siedelten seit dem 4. Jahrhundert im südlichen Belgien. Einer der Mittelpunkte ihrer Herrschaft war Tournai unter Chlodio und Childerich I. aus dem Geschlecht der Merowinger.Die Gründung und der Aufstieg des Fränkischen Reichs wurden durch Childerichs Sohn Chlodwig I. vollzogen, der die Reste römischer Herrschaft in Nordgallien (Reich des Syagrius, 486) und seine fränkischen Mitkönige (509-511) beseitigte sowie Teile des alemannischen Siedlungsgebietes (496) und des Westgotenreichs (507) eroberte. Auf dieser breiten Grundlage schuf er ein fränkisches Einheitsreich, dessen Mittelpunkt sich nach Nordfrankreich verlagerte. Chlodwig nahm nach der Überlieferung 496 den katholischen Glauben an. Dies schuf - im Gegensatz zu den Verhältnissen in den von arianischen Germanen beherrschten Gebieten des Römischen Reiches - die Voraussetzung für eine wirkliche Integration der romanischen Bevölkerung, besonders ihrer Führungsschicht, des senatorischen Adels. Nach Chlodwigs Tod 511 wurde nach fränkischem Erbrecht das Reich unter seinen vier Söhnen aufgeteilt, die in Paris, Orléans, Soissons und Reims residierten. Dieses Teilungsprinzip - als Teilreiche (regna) lösten Austrasien, Neustrien und Burgund später die vier ursprünglichen ab - blieb bis ins 7. Jahrhundert bestimmend für das Fränkische Reich. 531 wurde Thüringen, 532/534 Burgund erobert; Alemannen, Hessen und Baiern gerieten in politische Abhängigkeit. Gegensätze zwischen Königtum und Aristokratie sowie zwischen den Teilreichen schwächten aber die Reichsautorität. Nach dem Tod Dagoberts I. (639) verfiel die Macht der Merowingerkönige zusehends; sie wurde nun von den Hausmeiern ausgeübt.Die Karolinger als Hausmeier von Austrasien gewannen 687 mit Pippin II., dem Mittleren, die Alleinherrschaft im Fränkischen Reich. Sein Enkel, Pippin III., der Jüngere, setzte 751 den letzten merowingischen König, Childerich III., ab und machte sich selbst zum König der Franken, wobei die kirchliche Salbung das fehlende Geblütsrecht ersetzte. Von weltgeschichtlicher Bedeutung wurde der Bund dieses neuen Königtums mit dem Papsttum. Im Vertrag von Quierzy (bei Noyon, 754) übernahm der fränkische König als Patricius Romanorum den Schutz des Papstes und die Garantie seines Besitzes (Pippinsche Schenkung). Damit war die fränkische Politik fortan großenteils auf Rom ausgerichtet und der Boden bereitet, auf dem Karl der Große im Jahr 800 im Einvernehmen mit dem Papst und schließlich (812) auch unter Anerkennung durch Byzanz das abendländische Kaisertum errichten konnte. Diesem Schritt war vorbereitend die Konsolidierung, Erweiterung und Sicherung des Reiches vorausgegangen: Durch die Eingliederung der Stammesherzogtümer der Thüringer, der Alemannen, der Aquitanier und der Baiern (700-788) wurde die von den Rändern her bedrohte Reichseinheit wiederhergestellt; der Sieg Karl Martells 732 über die Araber bei Poitiers verhinderte deren Vordringen in das Fränkische Reich, das seine größte Ausdehnung unter Karl dem Großen erlangte; dieser unterwarf die Langobarden (774) und die Sachsen (772-804), vernichtete das Reich der Awaren (zwischen 791 und 803) und gründete die Spanische Mark.Der Verfall des Fränkischen Reichs trat bald nach dem Tod Karls des Großen (814) ein. Im Vertrag von Verdun (843) wurde es unter die drei Söhne Ludwigs des Frommen geteilt; der nördliche Teil (»Lotharingien«) kam in den Verträgen von Meerssen (870) und Ribemont (880) an die östliche Reichshälfte. Karl III., der Dicke, vereinigte die Teilreiche 885-887 noch einmal; die endgültige Trennung in das Westfränkische Reich (Frankreich, Geschichte), das Ostfränkische Reich (deutsche Geschichte), Burgund und Italien bedeutete das Ende des fränkischen Großreichs.In der durch spätantike Städte (civitates) geprägten Zone Galliens hatten Grafen (comites) umfassende Rechte in Verwaltung, Gerichts- und Heerwesen. Der Nordosten des Reiches war in kleinere Gaue (pagi) gegliedert mit Grafen (grafiones) an der Spitze. Die Lex Salica (germanische Volksrechte) kennt nur eine Dreiteilung der Geburtsstände: Freie, Halb- und Unfreie. Innerhalb der Freien spielte die rechtlich noch nicht abgesonderte Aristokratie, die sich erst langsam zu einem Adel entwickelte, eine hervorragende Rolle. Der Hausmeier (maior domus) bildete die Spitze der königlichen Verwaltung; unter ihm gab es die Hofämter (Seneschall oder Truchsess, Marschall, Schenk, Kämmerer). Das Königsgut bildete eine wichtige materielle Grundlage des Königtums, das aus dem germanischen Heerkönigtum erwuchs und durch die Übernahme römischer Einrichtungen wesentlich verändert wurde. Mittelpunkt des Fränkischen Reichs waren die Pfalzen (palatia), von denen in karolingischer Zeit Aachen, Ingelheim am Rhein und Nimwegen besonders wichtig waren.Die Wirtschaft des Fränkischen Reichs war überwiegend bäuerlich bestimmt auf der Basis von Grundherrschaften mit Fronhofverfassung. Im städtisch geprägten Westen und Süden des Reiches hielt sich antikes Erbe mit Fernhandel und Münzwesen. Im 8./9. Jahrhundert entwickelte sich vom Rheinland aus ein Handel mit Nordwest- und Nordeuropa. Das Münzwesen wurde durch Karl dem Großen neu geordnet.Im hochstehenden Kunstgewerbe (merowingische Kunst) zeigen sich spätantike, germanische und östliche Einflüsse. Amts- und Schriftsprache war das Latein, in dem auch die Rechtsbücher (leges) und die Kapitularien abgefasst sind. Für die Ausbreitung des Christentums sorgten gallische und iroschottische Mönche (Columban), später angelsächsische Missionare (Bonifatius). Karl der Große knüpfte erneut an antikes Bildungsgut an (»karolingische Renaissance«) und förderte in Klosterschulen Wissenschaft und Künste. Byzantinischer Einfluss in der Baukunst (Aachen) ist unverkennbar (karolingische Kunst).Die weltgeschichtliche Bedeutung des Fränkischen Reichs beruht auf der Verlagerung des politischen Schwerpunktes Europas aus dem Mittelmeerraum in den Norden. Hier wurden die Reste antiker Kultur erhalten und mit germanisch-christlichen Vorstellungen zu einem Neuen, zur abendländischen Kultur des Mittelalters, verschmolzen.Fränk. Siedlung:K. Bosl: Franken um 800 (21969);Althessen im Frankenreich, hg. v. H. Schlesinger (1975).Merowinger- und Karolingerzeit:E. Mühlbacher: Dt. Gesch. unter den Karolingern (1896, Nachdr. 1980);E. Ewig: Spätantikes u. fränk. Gallien, 2 Bde. (1976-79);Hb. der europ. Gesch., hg. v. T. Schieder, Bd. 1 (1976, Nachdr. 1979);M. Weidemann: Kulturgesch. der Merowingerzeit nach den Werken Gregors von Tours, 2 Bde. (1982);La Neustrie. Les pays au nord de la Loire, de Dagobert à Charles le Chauve, hg. v. P. Périn (Rouen 1985).Verfassung und Recht:H. Grahn-Hoek: Die fränk. Oberschicht im 6. Jh. (1976);F. Irsigler: Unters. zur Gesch. des frühfränk. Adels (21981).A. Hauck: Kirchengesch. Dtl.s, 5 Bde. (Berlin-Ost 81954);Mönchtum u. Gesellschaft im Frühmittelalter, hg. v. F. Prinz (1976).L. Lindenschmitt: Hb. der Dt. Alterthumskunde, Bd. 1: Die Alterthümer der Meroving. Zeit (1889);H. Ament: Archäologie des Merowingerreiches, in: Bericht der Römisch-German. Kommission, Bericht 51/52-54 u. Bd. 55-61 (1972-81).Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:Großreiche: Kolosse auf tönernen Füßen?Frankenreich von der Landnahme bis zum Großreich: MerowingerreichFrankenreich als Hegemonialmacht des Abendlandes: KarolingerreichKaisertum Karls des Großen: Symbol der Einheitkarolingische Renaissance: Erbe der KulturenFrankenreich im Zerfall: Reichsteilungen des 9. Jahrhunderts
Universal-Lexikon. 2012.